Martin Gruber (links) und seiner ÖVP wurden Verluste vorhergesagt, die am Wahlabend dann aber Peter Kaiser und seine SPÖ zu verdauen hatten.

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Vier von sechs Parteiergebnissen bei der Kärntner Wahl – FPÖ, Team Köfer, Grüne und Neos – haben die Umfrageinstitute gut "erwischt", bei SPÖ und ÖVP sind sie aber voll danebengelegen mit ihren Prognosen. Sowohl der Absturz der Roten um neun Prozentpunkte als auch der Überraschungserfolg der Schwarzen, die statt vorhergesagter Verluste ein Plus schafften und sich dank 17 Prozent der Stimmen klar auf Platz drei wiederfanden, hatte sich in keiner der publizierten Umfragen so abgezeichnet. Wie ist das erklärbar?

Spurensuche mit Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Seine erste Antwort hat etwas mit Desillusionierung zu tun oder mit Realitätssinn: "Es gibt offenbar eine nicht ausrottbare Sehnsucht nach der Kristallkugel", sagt er zum STANDARD: "Das trifft alle: Medien, Meinungsforscher und Bevölkerung." Wer meine, von der Meinungsforschung die politische Meinung der Bevölkerung exakt geliefert zu bekommen, müsse zwangsläufig enttäuscht werden. "Man kann Tendenzen aufzeigen, aber das ist es dann auch schon", erklärt der Politologe: "Früher war nicht alles besser, aber manches etwas einfacher." Wahlprognosen sind bedeutend einfacher, wenn es 80 Prozent Stammwählerinnen und Stammwähler gibt und die Wahlbeteiligung stabil hoch ist. Heute ist ein Viertel "spät entschlossen", und zehn Prozent, "Last-Minute-Deciders", entscheiden überhaupt erst in den letzten drei Tagen vor der Wahl, wen sie wählen. Eindeutige Klarheit gibt es nur am Wahltag.

Natürlich müssten sich alle Beteiligten an die wissenschaftlichen Standards für seriöse Umfragen halten. Der europäische wie österreichische Verband der Meinungsforschungsinstitute haben klare Qualitätskriterien formuliert, etwa Mindestgrößen für Stichproben, keine reinen Onlinebefragungen oder längere Befragungszeiträume. Nur werden die eigenen Kriterien keineswegs von allen eingehalten. Medien wiederum müssten auch Schwankungsbreiten und Auftraggeber transparent machen.

Scheue ÖVP-Wählerschaft?

Sora-Wahlforscher Christoph Hofinger formulierte im STANDARD-Chat zwei Thesen zu jenen zwei Kärntner Umfrageergebnissen, die deutlich abwichen von dem, was in der Wahlzelle tatsächlich passierte: SPÖ-Überschätzung und ÖVP-Unterschätzung. Das würde bedeuten, so Hofinger: "Ein Teil derer, die sich für die SPÖ deklarierten, war zu wenig motiviert und ging dann nicht wählen", und das gute ÖVP-Ergebnis könnte mit "Shy VP-Voters" erklärbar sein.

Letzteres, dass es bei der ÖVP womöglich im Vorfeld der Wahl eine (früher bei der FPÖ lange eingepreiste) "Unterdeklaration" gegeben haben könnte, hat auch Peter Hajek "auf dem Zettel". Es gebe "ein paar Indizien" dafür. Sein Public-Opinion-Strategies-Institut veröffentlichte eine Umfrage zur Kärnten-Wahl und hat nach dem SPÖ- und ÖVP-Ausreißer noch am Wahlabend begonnen, "den gesamten Datensatz durchzuwalken", sagte er im STANDARD-Gespräch: "Die Stichprobe ist sauber, wir sehen in keinem einzigen Gewichtungsschritt einen Ausreißer der ÖVP nach oben." Also macht er das, was Forschung ausmacht: Nachschauen, was da los ist: "Wir werden die ganze Studie zerlegen." Dann werden die telefonisch und die online erhobenen Daten getrennt auf signifikante Unterschiede bei der ÖVP analysiert: "Man sucht nach der Nadel im Heuhaufen", sagt Hajek.

Forschung als ständiger Prozess

2016, als Norbert Hofer im ersten Durchgang der Hofburg-Wahl auch eine seiner Umfragen überholt hatte, kam man auf diese Weise auf methodische Fehler. Als Folge wurde auf einen "Methodenmix" umgestellt, um treffsicherere Prognosen ableiten zu können. Sieben Jahre sei das sehr gut gelaufen, bis jetzt. Aber, so Hajek: "Es ist ein ständiger Prozess. Forschen heißt, permanent im Feld sein und schauen, was ist."

Die nächste Gelegenheit für einen Realitätscheck der Meinungsumfragen ist schon bald: Am 23. April wird in Salzburg gewählt. (Lisa Nimmervoll, 6.3.2023)